Oktober 2012
Kurzfassung des Reiseberichts von Oktober 2012 von Sabine Dryander und Pascale (kursiv). Den gesamten Reisebericht können Sie in der PDF-Datei (s. Link oben rechts) lesen.
Die Oktoberreise war mit nur 2 Wochen kürzer als die vorige Reise, sodass wir unsere Arbeit auf die Dörfer der Shomali-Ebene (Laghmani) konzentrierten und diesmal nicht nach Herat flogen. Sabine begleitete mich. Durch ihre positive Einstellung, Neugier und Offenheit, aber zugleich auch durch ihre Tüchtigkeit war sie eine wertvolle Gefährtin. Ihr Reisebericht soll diesmal unser Projekt mit anderen Augen darstellen. Mit meinen eher sachlichen Anmerkungen werde ich Sabines Impressionen in den kursiv gedruckten Abschnitten ergänzen.
Das gastfreundliche Haus der Familie Hashimi hatte Pascale und mich für die zwei Wochen in Kabul herzlich aufgenommen.
Hier stellten wir neue Stickpackungen zusammen und dachten uns Sonderaufgaben aus, und zwar Extratätigkeiten für ausgesuchte Stickerinnen – zum einen, weil sie einen besonderen Stil pflegten, zum anderen aber auch um ihnen zusätzliche finanzielle Hilfe anbieten zu können und auch um uns von den Fahrten in die Dörfer zu erholen. Wir wurden mit gutem Essen verwöhnt und nahmen am Familienleben teil. Eine sehr schöne Erfahrung!
Unser Arbeitspensum in den zwei Wochen war nur mit strenger Zeitplanung zu schaffen, aber wir nahmen uns auch die Zeit, zur Seidenweberei von Shaima Breshna (Azezana) zu fahren und ich bin nun sehr froh, dieses wunderbare Projekt kennengelernt zu haben.
Die Fahrten zu den Dörfern – Abfahrt immer gegen 6 Uhr morgens.
Zunächst ging es darum, die fertigen Stickereien der letzten Monate einzusammeln. Nach einem Frühstück mit frischem Fladenbrot, heißem Tee, Jogurt und Honig, manchmal auch gebratenem Ei mit Tomaten und Zwiebeln kamen die ersten Frauen aus dem Dorf mit ihren gestickten Tüchern. Im Innenhof der Häuser war genügend Platz für das Einsammeln und Begutachten in der einen Ecke, das machte Pascale mit Khaled und Lailuma.
Wenige Meter entfernt führte ich mit einigen Frauen Zeichenübungen durch. Die Idee war die Entwurfsarbeit, welche die Frauen möglichst selber machen sollten, zu unterstützen. Allzu oft erledigen diese Vorarbeit andere: der Neffe, der Ehemann oder die Schwester. Ziel war, die Frauen zu ermutigen, selbst zu zeichnen und sich das auch zuzutrauen.
Diese improvisierte ‚Malstunde’ teilte ich, mit Hilfe meines Übersetzers Zahur, Khaled’s Bruder, wie folgt ein:
Kurzer Ablauf:
1) Stickerei ansehen – welches Quadrat war selbst vorgezeichnet (oft konnte ich sagen, es sei besonders schön!) – warum zeichnest du nicht selber? – was stickst du am liebsten?
2) Um zu erkennen, wie die Stickerin mit dem Bleistift umgehen kann, die Aufgabe:
a) einen Stiel mit Blättern,
b) eine Blume zeichnen.
3) Betrachtung – Lob/Kritik – Hinweis auf die Blumen und Blätter um uns herum – Details ansehen – zu genauer Naturbeobachtung anregen.
4) Ich zeige ein paar Grundübungen: Schraffur, Wellenlinien, Kreise, liegende Acht als Schwung- und als Lockerungsübungen.
Manche Frauen konnten den Stift nur ungenügend halten – sie können nicht lesen und schreiben.
Anregung der Phantasie: aus Wellenlinien können Ranken entstehen, Kreise sind Grundform für allerlei Formen und Muster, Schraffuren gestalten möglicherweise den Hintergrund usw.
5) Wer Zeit und Freude daran hat, sollte die Übungen zu Hause wiederholen, vielleicht einen Entwurf versuchen und in der nächsten Woche mitbringen (zum Zahltag).
Tatsächlich hatte ich einigen Rücklauf. Meist die jüngeren Frauen haben sich getraut (hatten die Zeit dazu?), mir ihre Versuche zu zeigen. Zwei besonders gelungene Entwürfe werden nun sogar gestickt.
Ein interessanter Tag war auch der, an dem wir die Dorfältesten der verschiedenen Dörfer besucht haben. Pascale informierte sie über den jetzigen Stand des Projekts, es wurden mögliche Veränderungen besprochen. Bei der Gelegenheit bat uns der Dorfälteste um die Unterstützung für eine kleine Grundschule.
Sofian payin (oben) liegt am weitesten von der Laghmani-Schule (40 min) entfernt. Die Eltern, d.h. meistens die Väter schicken die kleinen 6- 8-Jährigen, ob Mädchen oder Buben, nur ungern so weit. Wir von der DAI werden uns bemühen, die Anfrage vom Dorfältesten zu seiner Zufriedenheit zu lösen.
Sehr beeindruckt war ich vor 2 Jahren, als der Dorfälteste von Kakara mich fragte, ob wir auch die Nomadenfrauen beschäftigten könnten, die etwas außerhalb des Dorfes auf einer Wiese in ihren Zelten leben. Eine richtige Integrationsarbeit leistet er! Wir trafen die Kuchi Frauen viermal und hoffen noch, ihre gekonnten Häkelbordüren doch bald vermarkten zu können.
Die Zahltage:
An den Zahltagen geht es viel ruhiger, geschäftsmäßiger zu; es wurden 21 000 € an 3 Tagen ausgeteilt. Nur wenn die unangenehme Aufgabe zu erledigen ist, einer Stickerin zu kündigen, kommt Unruhe auf. Da zeigt sich, wie schwierig es ist, die Waage zu halten zwischen der Möglichkeit, den Frauen die Erwerbsquelle zu erhalten, und den Ansprüchen, Käufer in Europa zu finden. Zum Glück gibt es noch den Ausweg, eine Patenschaft einzurichten!
Seit dem Frühling 2012 gibt es bei der DAI auch ein Spendenkonto für das Stickprojekt (Sticknothilfe genannt, SNH), wofür ich mich eingesetzt habe. Inzwischen werden 3 Familien von Stickerinnen sowie die von Soraya monatlich finanziell unterstützt.
Zum Schluss möchte ich 2 Begebenheiten wiedergeben:
Sorayas Stickerei war wegen mangelnder Qualität nicht mehr verkäuflich. Sie weiter zu engagieren, würde das Projekt gefährden. Als ihr die Kündigung mitgeteilt wurde, ging ein Raunen durch die Menge der anwesenden Kolleginnen. Empört wurde gesagt, dass das nicht möglich sei, da sie allein mit 2 Kindern lebe, von denen eines behindert sei. Sie sei in der Lage, wie ein Mann in den Gärten zu arbeiten und hätte ihr Haus selbst renovieren können.“ Ich traf die folgende Entscheidung: sie stickt nicht mehr weiter (sie hat keine Ruhe dafür), wird aber aus dem Sticknothilfespendetopf mit 40 €/Monat unterstützt, viel mehr als das, was sie je mit Stickerei hätte monatlich verdienen können. Ich wünsche ihr für die Zukunft, ohne Strapazen und Überbelastungen leben zu können. Als der Abholtag der Stickereien in Kakara zu Ende ging, waren 5 der erwarteten Frauen immer noch nicht aufgetaucht. Wir wollten uns auf dem Rückweg machen, aber die Hausherrin bat uns, doch noch zu warten. Denn die nicht erschienenen Frauen seien sehr arm und dürften auf keinen Fall eine Abgabe verpassen. Glücklicherweise trafen sie bald ein.
Beide Fälle zeugen von einer großen Solidarität unter den Frauen, auch wenn sie unterschiedlichen Familien und anderen Clans angehören. Sie sind keinesfalls den Sorgen der anderen gegenüber gleichgültig.
Die beste Ankündigung als Schlusswort: zum allerersten Mal haben wir auf Wegen der Dörfer 3 junge Mädchen laufen sehen, die laut ihrem Alter eine Vollverschleierung – Tshaderi genannt – hätten tragen müssen (nicht mehr laut Gesetz, sondern der Tradition wegen). Diese Mädchen hatten einfach nur ein Kopftuch an und liefen entspannt durch das Dorf. Das bedeute.t, dass der Vater es erlaubt hat und damit zeigt, dass er den Gedanken “Was werden die Leute von mir denken?” überwunden hat. Welch eine unbeschreibliches Glück, solch eine Szene zu erleben!