Reisebericht November 2018

Meine letzte Reise in diesem Jahr nach Afghanistan verlief problemlos, obwohl diese Tage ganz anders waren als bei anderen Aufenthalten. In meinem Terminkalender hatte ich nur ein eingeschränktes Zeitfenster für diese Reise zur Verfügung, sodass ich ausgerechnet zu den Parlamentswahlen in Kabul eingetroffen bin. Ich landete am ersten Wahltag, bekam aber von der lokalen Aufregung nichts mit, weil ich mich diskret bei meiner Gastfamilie aufhielt. Khaled ging am Nachmittag wählen, obwohl es in seinem Wahlbüro in Kabul am Vormittag ein Attentat gegeben hatte. Ich staunte, dass er so schnell zurück war. Er erklärte, dass es keine Warteschlange mehr gebe, da die Leute sich nicht mehr trauen würden, zum Wahllokal zu gehen.

Schon am Tag drauf fuhren wir auf die Dörfer, wo ich an insgesamt drei Tagen die Stickerinnen treffen konnte. Ich warf einen Blick auf ihre Finger, um „Spuren“ von der Wahl zu erkennen, denn alle Wählenden müssen anschließend ihre Finger in ein Fläschchen mit Tinte stecken. Nur eine einzige Stickerin, Fatemah, hatte gewählt. Sie ist Lehrerin. Ich sprach auch Simin an, deren Selbstbewusstsein sich für mich wie ein Wunder in Afghanistan darstellt. Warum hatte sie nicht gewählt? Sie erläuterte, dass sie zu viel Angst gehabt habe, in der Schlange zu stehen. Denn Attentate seien nicht selten. Aber dann sprach sie Khaled an, meinen Begleiter, durch den das Stickprogramm am Leben gehalten wird. Und sie sagte etwas Wunderbares: „Khaled, Du hättest Dich zur Wahl stellen sollen. Solche Männer wie Dich braucht das Land.“ Daraufhin erwiderte Khaled, er sei nicht der richtige Kandidat, weil er keine krummen Geschäfte abwickeln könne, nicht mit Drogen handeln wolle und niemals einen Menschen töten könne. Kurz, ihm würden all jene Eigenschaften fehlen, die man benötige, um ins Parlament gewählt zu werden.