Bericht vom April 2017 über die Reisen im November 2016 und im Februar 2017

Mit dieser schönen Illustration von Sosan (siehe 1. Bild in der Galerie rechts) begrüße ich Sie. Sosan, 14 Jahre alt, ist die jüngste der Stickerinnen aus den drei Dörfern. Sie gehört zu einer Familie von Stickerinnen – ihre Mutter, ihre Tanten und vier ihrer Schwestern sticken ebenfalls. Ähnlich wie bei den Frauen einiger anderer Familien kann man bei ihnen den Eindruck gewinnen, sie hätten ein besonderes Gen für die Stickerei.
 
Ich möchte Ihnen nun etwas von den zwei letzten Reisen berichten, die kurz vor Weihnachten und Anfang März stattfanden.

Die Berge rund um die Hochebene waren weiß …

denn es gab viel Schnee in diesem Winter. Das ist ein großer Segen, da es genügend Wasser für die Anbaukulturen verspricht. In nur wenigen Wochen werden die Blumen, und unter ihnen die wilden Tulpen in Überfülle erblühen, so wie Sosan es uns zeigt.
Wo finden die Stickerinnen die Ideen für ihre Motive? Sie beobachten alles, was sie umgibt und lassen uns teilhaben an ihrer Umgebung und ihrem Alltag. Im Dezember wurden diese vier Quadrate von vier Stickerinnen desselben Dorfes Kâkârâ abgegeben. Beim Betrachten des zweiten, dann des dritten und schließlich des vierten Quadrats fragte ich jede der Stickerinnen, wie sie auf das Motiv der vier Jahreszeiten gekommen sei. Keine war in der Lage, mir dies mitzuteilen. Erst einige Tage später entdeckte Khaled in einem Werbespot im Fernsehen das besagte Motiv.
Ich erinnere Sie daran, dass die Stickerinnen ihre Motive eigenständig entwickeln und ich ihnen niemals Musterbeispiele gebe. Um die Motive zu variieren und die Ausstellungsprojekte zu begleiten, bitte ich sie allerdings regelmäßig darum, das eine oder andere Thema zu behandeln. Im Dezember 2016 bat ich sie, Hühner und Kaninchen anzufertigen. Die Gefahr, dass das kitschig wird, besteht. Aber da das Osterfest jedes Jahr wiederkommt, kann man hoffen, dass diese niedlichen Hühner (siehe nächste Seite) ihre europäischen Käufer auf den Messen finden werden. Eine eigene Hühner-Galerie im Online-Shop wird es nicht geben – Sie finden die Motive bei der Stickerei aus Laghmani.

Zwischen November 2015 und Februar 2017

habe ich 5 Reisen in die Dörfer unternommen. Diese in vierteljährlichem Rhythmus regelmäßig durchgeführten Treffen, sind zwar ermüdend, aber auch sehr bereichernd. Sie haben mich überzeugt (wenn es dessen überhaupt bedarf), dass diese Treffen vor Ort ausgesprochen wichtig sind. Bei jedem Aufenthalt kommen zahlreiche Frauen und junge Mädchen zu mir, um mir mitzuteilen, dass sie das Sticken beherrschen und gern am Stickprogramm teilnehmen möchten. Es ist nicht sinnvoll, die Zahl von 200 Stickerinnen, die seit mehr als 8 Jahren dabei sind, zu überschreiten. Wir würden mehr als 40 kg an Ware transportieren müssen (diese Menge kommt jetzt zusammen) und bereits 10 kg Mehrgewicht verursachen hohe Zusatzkosten. Noch stärker spricht dagegen, dass wir schon jetzt im besten Fall nur 2/3 der Stickereien verkaufen können, obwohl die Stickerinnen stets für ihre Arbeit bezahlt werden.
Nun gibt es allerdings auch zahlreiche Stickerinnen, die von Anbeginn des Projekts dabei sind, die ihre Fähigkeit aber nicht weiterentwickelt haben, sondern stagnieren. Andere hingegen zeigen von Quartal zu Quartal bessere Ergebnisse – sowohl in kreativer als auch in handwerklicher Hinsicht. Die Konsequenz ist, dass die weniger gelungenen Stickereien sich nicht verkaufen lassen, obwohl sie billiger angeboten werden. Ich musste eine Entscheidung treffen, um dieses Problem zu lösen. Bei meiner Juni-Reise kündigte ich den Stickerinnen an, dass ich am Ende des Jahres während meiner Dezemberreise ungefähr 30 von ihnen entlassen würde, um durch einen Wechsel anderen Frauen die Möglichkeit zu geben, sich am Projekt zu beteiligen. Die Information sollte in den drei Dörfern bekannt gegeben werden, damit potenzielle Kandidatinnen sich darauf vorbereiten konnten.

Während des Abholens der Arbeiten

im Juni, September und Dezember wählte ich 22 Frauen aus, von denen ich mich verabschieden musste. Die Entlassung, begleitet von der Erklärung, dass auch andere Frauen die Möglichkeit haben müssten, mit der Stickerei etwas Geld zu verdienen, verlief ruhiger als ich erwartet hatte. Nur zwei Frauen protestierten vehement. Da ich in Bezug auf die Entlassung Lalias dann doch ein schlechtes Gewissen bekam, suchte ich sofort nach einer Möglichkeit für sie, etwas anderes sticken zu können. Sie sagte zu mir: Bitte, du darfst mich nicht entlassen, denn ich bin eine junge Mutter mit einem kleinen Mädchen. Mein Mann ist Rikschafahrer und verdient nicht mehr als 120 bis 140 Afghani pro Tag. (= 1,70 bis 1,95 Euro) Und dies, obwohl ihr Mann Besitzer seiner Rikscha ist. Das Problem ist, dass die Konkurrenz riesig ist und die Fahrer nicht genügend Kundschaft haben, um mehr Geld einzunehmen. Obwohl Lalias Stickerei nur von mittelmäßiger Qualität ist, verdient sie dennoch 200 Afghani pro gesticktem Quadrat. Mit dieser Information verstehen Sie besser, wie wichtig den Frauen der Lohn ist, den sie durch das Sticken erwerben.

Bei meiner letzten Reise Anfang März,

während der drei Tage, an denen ich die Stickerinnen traf, ihre Stickereien kommentierte und ihnen ihren Lohn aushändigte, verteilte ich ebenfalls kleine Stoffquadrate und Garn an die neuen Kandidatinnen. Wir trafen uns drei Tage später wieder für die Prüfung – einen halben Tag lang in jedem Dorf. Da die Anzahl der auszuwählenden Personen beschränkt war, handelte es sich um ein Auswahlverfahren. Wir sind folgendermaßen vorgegangen (so hatte sich in der Vergangenheit bewährt): Die Kandidatinnen erscheinen mit der Hälfte eines von ihnen zu Hause gestickten Quadrates. Die andere Hälfte müssen sie vor Ort in 2 bis 3 Stunden fertigstellen. Aus mehr als 130 Kandidatinnen aus drei Dörfern waren 22 Plätze zu vergeben. Die Entschlossenheit und die gute Vorbereitung der jungen Mädchen (im Alter von 16 bis 22 Jahren) und Frauen haben mich beeindruckt. Viele von ihnen erzählten mir, dass sie monatelang für dieses Auswahlverfahren geübt hätten. Sie stickten schnell und sicher, sehr konzentriert und konkurrierten in ihrem kämpferischen Willen, diese Prüfung erfolgreich zu bestehen. Sie waren sich offensichtlich der großen Bedeutung bewusst, die Chance zu haben, an einem Programm teilzunehmen, das ihnen die Möglichkeit eröffnen würde, in diesen ländlichen Regionen Geld zu verdienen. Letztendlich habe ich, beeindruckt wie ich war, 14 Kandidatinnen aus zwei Dörfern und 16 Kandidatinnen aus dem dritten Dorf ausgewählt. Die Stickarbeiten und die ganze Situation waren zu schön. Das bedeutet aber nun, dass wir ein Problem haben …

Wie geht es weiter in Europa?

Lesen Sie den gesamten Bericht im PDF, das Sie rechts oben herunterladen können.