Die Afghanin
Textilbuch-Collage
Die Bezeichnung »Burqa« ist in Europa bekannt. Diese kommt eigentlich aus dem Arabischen Sprachraum. In Afghanistan wird die Vollverschleierung »Tshaderi« genannt. Noch bis in den Krieg hinein, also bis vor circa 12 Jahren, stickte fast jede Frau auf dem Land ihren eigenen Tshadri mit der Hand.
Die Sticktechnik ist die Kandahar-Stickerei. Die Stadt Kandahar, im Süden Afghanistans, hat dieser Stickart den Namen gegeben, auch wenn sie in ganz Afghanistan ausgeübt wird, d.h. von den Frauen aller Völkergruppen.
Stoff und Stickgarn sind aus weißer Viskose; erst nach Vollendung der Stickerei wird das Tuch blau gefärbt. Manche Frauen tragen einen weißen Tshaderi.
Neben der Qualität des Färberbades gibt die Intensität der Farbe des Tshaderis Auskunft über das Alter desselben bzw. wie lange er getragen wurde: je heller bzw. ausgeblichener desto älter ist er.
In dem Textilbuch, mit Titel „Die Afghanin“ im so genannten Leporello, wurden sämtliche Texte zusammengetragen, die ich zu diesem Thema aus der Literatur und Zeitungsbeiträgen gesammelt habe. Hier werden nur wenige Auszüge wiedergegeben. Die Texte auf Papier wurden mit Stoffresten als Collage maschinell zusammengenäht. Die Nähte, wie graphischen Strichen, werden besonders deutlich auf der Rückseite, der als Bestandteil der Sammlung anzunehmen ist.
Hat man das Vorderteil geblättert, geht es weiter mit der Rückseite, dann weiter mit der Vorderseite und unendlich weiter: die unendliche Geschichte des Leidens durch den Tshaderi.
Es ist so, wie wenn man eine Blume besitzt, eine Rose. Man gießt sie und behält sie im Hause, um sie anzusehen und daran zu riechen. Eine Frau darf nicht aus dem Haus gelassen werden. Dort könnten alle an ihr riechen.
Sayes Ghaisuddin, ein früherer Taliban Minister
…und ich habe mir die Schuhe nicht angesehen. Die Schuhe der Frauen sind das einzige Erkennungsmerkmal. Ein blaues, plissiertes Tuch verdeckt die Frauen von Kopf bis Fuß, macht alles gleich, entmenscht sie. Wie soll ich Shirin-Gol finden? Hier wimmelt es nur so von den blauen buqhas, die sich im Wind mal an die dünnen Körper der Frauen pressen und mal aufblähen, als seien sie Ballone, als würden die Frauen gleich in den Himmel abheben und davon schweben. Immer wieder versuche ich durch die feinmaschigen Netze vor den Augen der lebenden Gespenster menschliche Gesichter zu erkennen.
Siba Shakib,
Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen
Bevor ich das Haus verließ, hatte ich in den Spiegel geblickt und dieses verhüllte Etwas, das vor mir stand, nicht wieder erkannt. Die Burka verhüllte mein Gesicht, sogar meine Augen. Ich unterschied mich in nichts von allen anderen Frauen auf der Straße. Eine Nicht-Person. Ein sich bewegendes, verhülltes Objekt.
Sulima und Hala · Mit Batya Swift Yasgur · Gefangen hinter dem Schleier · Unser Leben in Afghanistan und unsere Flucht in die Freiheit · ISBN 3-453-86826-5