Forest for Ever

Die großartige Entwicklung der Handstickereien seit 2004 ist beeindruckend. Die Stickerinnen haben sich das Handsticken wieder angeeignet, spielen mit Farben und lassen ihrer Fantasie freien Lauf. Sie erfinden ihre Muster selbst, jede Stickerei ist ein Unikat. Die handwerkliche Ausführung hat sich im Lauf der Jahre deutlich verbessert. Erstaunt stellt man immer wieder fest, dass Rückseite und Vorderseite der Stickerei kaum zu unterscheiden sind.

Als Initiatorin und Betreuerin des Stickereiprojektes lasse ich mir immer wieder neue Ideen einfallen. 2011 bat ich die Afghaninnen, Stickereien in Blattform und mit einem Blattmotiv zu sticken. Dazu wurden verschiedene grüne Stoffe sowie grüne Stickgarne verteilt. Die Fläche der Blätter sollte den üblich gestickten Quadraten entsprechen (knapp 70 cm²). Dazu kam die Aufforderung, für einen schönen, glatten, gestickten Rand Sorge zu tragen. Auf diese Weise wurde gewährleistet, dass man später, wenn es in Europa gewünscht wird, das Blatt direkt an der Stickerei abschneiden und z.B. als 3D-Applikation Verwendung finden könnte.

Es war soweit, diese außergewöhnlichen Stickereien wurden zum Auslöser für ein innovatives Projekt: Im September 2013 wurde der Wettbewerb „Forest for Ever“ ausgeschrieben. Dabei sollten die Blätter als Grundlage für Gestaltungen fungieren. Eine zweite Bedingung bestand darin, ein hochkantiges Format mit dem 1 zu 4-Prinzip zu berücksichtigen (minimale Höhe 40 cm, maximale 2 m). Alle textilen Techniken waren gestattet, auch das Hinzufügen fremder Materialien erlaubt.

Die Jury setzte sich aus Anne Marie Bertrand (FR), Geneviève Attinger (FR), Judith Mundwiler (CH), Gabi Mett (DE) und Elsbeth Nusser-Lampe (DE) zusammen; alle in der Textilszene bekannt und professionell tätig. Aus 158 Bewerbungen aus ganz Europa sollten 60 Werke ermittelt werden. Die Auswahlkriterien waren: Bezug zum Thema, Komposition, technische Umsetzung und Originalität.

Das mit Spannung erwartete Ergebnis kann sich sehen lassen; es liefert einen überzeugenden Eindruck der Zusammenarbeit zwischen Afghaninnen und Europäerinnen. Beeindruckend ist die Vielfalt der Umsetzungen: auch wenn das Thema des Waldes durchweg präsent ist, gibt es keine ähnlichen, geschweige denn identischen Interpretationen des Themas. Von leichten durchsichtigen Werken, die durch eine Aufhängung im freien Raum wirken, bis zu schweren, fast realistischen Werken, die an Baumstämme erinnern, können die Besuchenden durch die Ausstellung gehen wie durch einen utopischen Wald und sich von den vielen Ideen, die das Leitmotiv „Forest for ever“ bei den Stickerinnen ausgelöst hat, überraschen lassen.

Wie es in der Textilszene üblich ist, liegt der Schwerpunkt auf der Ästhetik und weniger auf sozialer und global-politischer Kritik. Aber auch wenn dieser kritische Aspekt explizit wenig zum Ausdruck kommt, erinnern uns diese Werke implizit durchaus daran, wie kritisch die Lage der Wälder überall auf der Welt ist.

In Afghanistan existieren kaum Wälder. Auf den Boden der Realität zurückkehrend, bildet dieser Mangel ein tägliches Problem für die Stickerinnen, da sie drei Mal am Tag ein warmes Essen zubereiten müssen.


Gestickte Blätter, die ursprünglich für den Wettbewerb angefertigt wurden, können Sie während der Wanderausstellung weiterhin bestellen. Sie bilden zu den üblichen gestickten Quadraten eine willkommene Abwechslung.

Das Ausstellungsprojekt wurde als Zusammenarbeit mit Initiatives Evènements (FR) durchgeführt und das erste Mal im Rahmen des 20. Europäischen Patchwork-Treffens in Sainte Marie-aux-Mines (Frankreich) gezeigt.