Blumen und Suzanis
Dreiteiliges Werk von Gudrun Seng
und Quilt von Monika Sebert-Müller
Das Kamel braucht Datteln, die Erde Blumen. Altes Afghanisches Lied.
Afghaninnen lieben Blumen. Jede pflegt einen Garten inmitten ihres Hofes, wo viele Blumen gepflanzt werden. Die kleine dreiteilige Patchworkarbeit von Gudrun Seng – Handstickereien aus Afghanistan mit Handstickerei aus Deutschland kombiniert – ist gut geeignet, um über die Aktion »Blumensamen als Geschenk an die Afghaninnen« zu berichten: inmitten ihrer Stickerei hat Gudrun Haltekapseln der Malvensamen mit eingestickt. In den Wochen vor meiner 4. Reise im Sommer 2009 schickte ich eine Rundmail an alle Projektinteressierten. Ich teilte mit, dass ich überlegte, westliche Blumensamen dort zu verschenken. Die Reaktion war großartig! Ich bekam etwa 5 kg Samen geschickt, in kleinen Tütchen verpackt. Die Stickerinnen waren sehr angetan, jede durfte sich eine Tüte aussuchen. An den Tagen darauf schenkten sie mir zum Dank zahlreiche schöne Blumensträuße aus ihren eigenen Blumengärten (Bilder dazu beim 4. Reisebericht).
Der Quilt von Monika Sebert-Müller »Hallo Shafiga«, der ein Blumenfeld suggeriert, gibt mir die Gelegenheit eine Antwort auf eine in Europa häufig gestellte Frage zu geben: Wird Mohn in Laghmani angebaut? Nein, ich habe niemals Mohnfelder zwischen Kabul und Laghmani, also in der Shomali-Ebene, gesehen. Nach meiner Information ist nur ein Mann einer Stickerin opiumabhängig. Es werden hauptsächlich Getreide (Weizen, Roggen und Mais), Kartoffeln und Gemüse (Zwiebeln, Zucchini und Kürbisse, Tomaten und Paprika, Auberginen) sowie Früchte, unter anderem Rosinen, die –getrocknet- seit kurzem zum Export nach Europa wieder zugelassen sind.
Eine traditionelle Suzani und die Blumenfelder von Jila in 2008 und 2011 geliefert
2007 hatte ich Jila angeboten, einen industriell bedruckten Stoff (Küchengardinen aus den 70er Jahren) zu besticken. Ich schlug ihr vor, ein Blumenfeld daraus zu sticken. Ich skizzierte ihr 6 Blumenmuster und bat sie, diese auf der Fläche zu verteilen. Sie stickte die gesamte Fläche! Die Lieferung kam im Jahr 2008.
Regelmäßig verteile ich bei ausgewählten Stickerinnen solche so genannten »extra« Stickarbeiten. In diesem Fall kam Jila zum Zug, weil ich wusste, dass sie ledig ist und mehr Zeit als andere hat. Solche zusätzlichen Stickarbeiten sind sehr geschätzt, weil sie eine zusätzliche Geldeinnahme darstellen. Die Stickerinnen können weiterhin ihre übliche Anzahl an Quadraten sticken und arbeiten diese Extras parallel dazu. Es geht darum, sich die nötige Zeit zu nehmen, damit die Qualität überzeugend bleibt.
Dann eine Überraschung: in der ersten Lieferung 2011 kam eine zweite »extra« Stickarbeit von Jila! Nach so langer Zeit hatte ich vergessen, dass ich ihr ein zweites Stoffstück anvertraut hatte, das sie ganz nach ihrer eigenen Vorstellung besticken konnte. Diesmal benutzte sie nicht den Klosterstich, wie bei der ersten Stickarbeit, sondern stickte Rosetten in Plattstich, aus der Kandaharstickerei, wie sie für die Verzierung der Vollverschleierung verwendet wird. Dieses Stück wurde so vollkommen von Jila konzipiert und realisiert.
Solche teils oder ganz bestickten Tücher erinnern an die Tradition der »Suzanis«, die gestickte Decke aus Usbekistan. Auf Französisch heißt Klosterstich sogar »Boukharastich«, nach der Stadt Boukhara (Buchara) in Usbekistan. Die Frauen der Familie arbeiteten gemeinsam an der Herstellung von bis zu 12 gestickten Decken, den Suzanis, die für eine Vermählung angefertigt wurden und rechtzeitig fertig sein mussten, damit sie vorher ausgelegt werden konnten zum Bestaunen.
Es ging dabei hauptsächlich um Wandbehänge zu Dekorationszwecken, aber auch darum wertvolle Objekte darin einzuwickeln.
Green meadow – Pascale Goldenberg
Das Stück ist aus Lakenresten angefertigt. Bettlaken werden in Deutschland für das Sticken gesammelt, doch Teile davon müssen entfernt werden, weil der doppellagige Stoff sich nicht besticken lässt und zusätzliches Gewicht verursacht. Als ich mich im Sommer 2009 in Afghanistan befand, färbten meine Freundinnen in Freiburg Stoffe. Jede färbte für mich mehrere solcher Abfallstreifen in einer breiten Palette von Grüntönen. Daraus gestaltete ich diese Bodenarbeit, einem Teppich gleich. Ich nutzte die Knopflöcher, um zahlreiche Knöpfe hinzuzufügen, in Gedanken an die Afghaninnen, die Knöpfe besonders schätzen.
Tuch von Zibagul, Tuch aus dem Sommer 2006, Quilts von Frances Fry und Claudia Zabel
Während meines Aufenthaltes im Frühjahr 2006 hatte ich nicht genügend Stoff für die sehr zahlreichen Frauen, die plötzlich an dem Projekt teilnehmen wollten. Wir haben daher auf den Bazaren von Tsharikar (Hauptstadt der Provinz Parwan) und Kabul Stoffe gesucht, die den europäischen Anforderungen entsprechen. Der “beste“ Stoff, den ich gefunden habe, ist der Stoff, der zur Herstellung der typischen afghanischen Männerkleidung verwendet wird, dem shalwar kamiz, Er besteht aus zwei Teilen, einer Tunika, die bis zum Knie reicht, und einer Hose, die im Bundbereich sehr gebauscht ist.
Dieses Tuch (der Stoff wurde in Afghanistan angeschafft) von Latifa ist besonders interessant, weil es uns, wie in einem Comic, eine Geschichte erzählt.
Unglücklicherweise, sowohl für das Projekt (weil dabei entsprechende Portokosten anfallen) wie auch für die afghanische Wirtschaft, ist dieser Stoff nicht mehr aus reiner Baumwolle erhältlich. Die Baumwollproduktion ist mit dem Krieg verschwunden, obwohl Afghanistan vorher, dank der Höhenlage, eine außergewöhnlich gute Baumwollqualität produziert hat.
Baumwollpflanzen werden in der Nähe bei Gulbahar angebaut, die Baumwolle dient dazu, die Matten, die toshaks, auf denen man sitzt und schläft, auszupolstern.
Dieses Tuch (der Stoff wurde in Afghanistan angeschafft) von Latifa ist besonders interessant, da sie uns gleichsam wie in einem Comic eine Geschichte erzählt.
Frances Fry und Claudia Zabel bedienten sich solcher Stickereien mit Baumwoll-Kapsel bzw. Blütenmotiven für ihre jeweiligen Werke.
Die Tulpen der Afghaninnen, der Quilt von Elke Richter
Die Zwiebel der Sultane: Die Heimat der Wildtulpen ist Mittel- und Zentralasien, hauptsächlich Persien, Afghanistan und Turkestan (Kaukasus). Ihre Form erinnert an eine Spitze, Turban ähnliche Kopfbedeckung, die die Menschen in Asien früher trugen. Sie hieß im türkischen »tülbent« und im persischen »dulband«. Daraus leitet sich der botanische Name der Tulpe »tulipan« ab.
“Am Straßenrand stehen Kinder und verkaufen Ketten aus rosa Tulpen. Im Frühjahr wetteifern Kirsch-, Aprikosen-, Mandel- und Birnbaumblüten um die Aufmerksamkeit der Reisenden. Eine einzige Blütenwolke folgt dem Reisenden den ganzen Weg nach Kabul“.
Aus einem Prospekt des afghanischen Fremdenverkehrsamtes von 1967.
In den Gräben wachsen über den Todesfallen Unmengen von kurzstieligen dunkelrosa Tulpen. Aber diese Blumen lassen sich nur mit genügend Abstand bewundern. Dem, der sie pflückt, reißt es wahrscheinlich einen Arm oder ein Bein ab.
Aus Asne Seierstad »Der Buchhändler von Kabul«
Come let us go to Mazar
Mullah Mohammad Jan,
Looking at the fields of tulips,
My good old fellow…
Aus einem afghanischen Lied
Malehas Tapisserien, die erste im Frühling 2011, die zweite im Hersbt 2011 eingetroffen
Maleha, die diese « extra »Arbeit gestickt hat, ist eine junge Frau, die noch nicht verheiratet ist. Sie kann hervorragend sticken. Ihre Spezialität sind Blumen, die sie üblicherweise mit einem feinen kontrastreichen Strich aus einem länglichen Kettenstrich durchzieht. Ich hatte ihr diese Sonderarbeit anvertraut, damit sie die Möglichkeit hat, mehr Geld zu verdienen: Sie ist die einzige Verdienerin zuhause. Ihr Vater war Diabetiker, hatte ein Bein amputiert, starb auch dann. Sonst stickt niemand aus der Familie.
Ich hatte von ihrer Lage erfahren, die sich in einer anderen Familie wiederholt. Die jungen Mädchen sorgen finanziell für den Rest der Familie. In beiden Fälle geschieht etwas, was als Revolution bezeichnet werden kann: die Mutter übernimmt die Hausarbeiten!
Diese sind sonst grundsätzlich von den Töchtern zu erledigen.
In Afghanistan gilt: eine Mutter gibt nach und nach die Arbeit ab, die die heranwachsenden Töchter erledigen können. Die Übergabe der Alltagstätigkeiten befreit die Mutter von der Verantwortung und der Arbeit! Es kann zu extremen Situationen führen, weil die Tochter unter enormem Stress und Druck steht und die Mutter nur herum sitzt. Durch diese »Strategie« lernen die Töchter eine effiziente Hausfrau zu werden, damit sie entsprechend gut für die Ehe vorbereitet sind. Nach und nach hat die Mutter nur noch die Gäste zu empfangen bzw. sie zu unterhalten und die Entscheidungen für die Vermählungen zu treffen.
Ich hatte Maleha zweimal hintereinander ein großes industriell bedrucktes Stoffstück anvertraut, dazu eine ausgesuchte Palette Stickgarne. Die Blumen waren weiß (schauen Sie am Rand). Sie hat sich nicht ganz daran gehalten, sondern nach ihrem Geschmack die Farbpalette mit dem Zitronengelb und Mandelgrün ergänzt. Spuren ihres eigenen Geschmacks und ihrer Kultur, die sie mit unserem Geschmack kombiniert hat. Beobachten Sie, mit welcher Strenge und Symmetrie sie die Farben verteilt hat.
Gesticktes Tuch von Bilqis (Frühling 2011) und Werk von Francoise Marchadier – Frankreich
Bilqis hat für sich einen ganz besonderen Stil ausgearbeitet, der durch ein Gleichgewicht zwischen den Stickarten Kandaharidusi und Pokhtadusi kenngezeichnet ist.
Die Kombination von figurativen Motiven (Blumen), eingebettet in Bordüren, die sich wiederholen, ist überzeugend. Im Rahmen meines Besuches im Sommer 2011 bestärkte ich sie, in dieser Richtung weiter zu sticken, bewusst diese zwei Stickarten innerhalb eines Quadrates eng zu verzahnen.
Ein so entstandenes Tuch vertraute ich Françoise Marchadier, einer französischen Künstlerin an, einer Kreuzstichspezialistin, die allerdings sehr frei arbeitet. Sie hatte freie Hand, um die Stickereien von Bilqis zur Geltung zu bringen.